Drucken
Kategorie: Blog
Zugriffe: 1339


 

Mut

Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Überzeugung, dass etwas wichtiger ist als Angst. (F.D. Roosevelt).

Vorab: Es geht nicht um den so falsch verstandenen Heldenmut. Der führt zu einem so elendigen Tod oder Verkrüppelung auf den Schlachtfeldern dieser Welt. Familien werden zerrissen; generationsübergreifende Trauma werden weitergetragen. Machthaber – ob religiös oder politisch „motiviert“– verführen junge Generationen; verlorenen Generationen. Eine schier endlose Spirale von Hass, Gewalt und des Mordens seit undenkbar langer Zeit. Kälte und Verhärtung, oft unbewusst, durchziehen die Gesellschaft. Das muss nicht nur durch Kriege gezeugt sein, das kann auch auf Beziehungsebne in Familien oder im Arbeitsleben ablaufen. Die Muster sind auf verblüffende Art und Weise so oft gleich.

Mir geht es um eine andere Art von Mut: Mut, geboren aus Vergebung und Mitgefühl. Auf diesem Weg, da stelle ich mich meinen Ängsten und wäge mögliche Folgen nicht ab. Ich gehe meinen Weg, in wachsendem Selbstvertrauen. Mit den Folgen, da werde ich umgehen. Sie sind rein Ergebnisse meiner Entscheidungen. Ohne Angst bräuchte ich keinen Mut. Schritte gehen in bisher unbekanntes Land wagen, ohne zu wissen, was folgt. Das ist der Mut, den ich meine. Es ist ein schmaler Pfad; jenseits der ausgetretenen Pfade des Mainstreams. Mut kann nur da gelebt werden, wo auch Angst existiert. Doch gerade Angst ist so oft hinter Schichten der eigenen Prägungen verborgen. Deshalb auch so viele Ablenkungen durch Medien- Nahrungs- und Luxuskonsum. Möglichst weit weg von der Angst. Sie muss betäubt werden. Ohne Rast und ohne Ruhe Ablenken. So bleibt keine Zeit mehr, die Neugier auf anderes, auf das Leben zu spüren. Leben, das so fein und verletzlich pulsiert. Neues wagen? Sehnsucht nach mehr? Verbunden sein mit der Natur und den Menschen? Verbunden auf tiefster Ebene unseres Seins gar mit der Quelle unseres Seins, ich nenne sie Gott? Diese Sehnsucht kommt im Mainstream nicht vor. Ablenkung von der empfundenen Leere.

Wer ist heute noch wirklich in Kontakt mit der Fülle des Lebens? Ich meine nicht das schier unablässige konsumieren der digitalen Medien, auch nicht den oft maßlosen Verzehr von Nahrungs- und Genussmitteln. Emotionalisierter Luxus, ob SUV oder sonstige Ersatzdrogen. Sie sind in schier unendlicher Fülle da und werden unablässig befeuert von der von den Necons geprägten Gesellschaft. Doch sie lenkt dies alles unsere Aufmerksamkeit ab. Über diesen weg werden innere Erfahrungsräume versperrt und vergraben. Übernommene Prägungen der Generationen vor mir werden gelebt; wiederholt wie in einer Endlosschleife - wo bleibt meine Entscheidung, die Fülle des Lebens anzunehmen? Fühle ich mich selbst auf tiefer Ebene wirklich als wertvoll und grundlegend gut oder muss ich mich von einem empfundenen Defizit weiter ablenken?

In die Erfahrung des zutiefst geliebt seins ohne Bedingungen zu kommen, das ist für viele Menschen unendlich schwer. Das kann ich nachvollziehen, lebend im Gefängnis meiner eigenen Gedankenwelt. So wie ich innerlich die Welt sehe, so sehe ich sie auch im Außen. Frühe Prägungen: Die Welt ist ein gefährlicher Ort; Lebensgefährlich. Tief vergraben im Bewusstsein, in vielen Schichten und Verästelungen meiner Schutzpanzer. Sie waren in frühen Lebensphasen hilfreich. Schutz meines Wesens. Doch so vieles war in mir dadurch blockiert, lebend im Pol der Angst. Mit viel Kraft Jahrzehnte durchs Leben gekämpft, meinen Mann gestanden. Doch dann kam der Zusammenbruch. Wie von unsichtbarer Hand geleitet, hatte ich Monate später endlich einen Weg gefunden, auf dem ich Hilfe zur Selbsthilfe angeboten bekam. Inzwischen sind viele Jahre vergangen, doch schon zu Beginn der Reise war Mut gefordert: Mich zeigen! So vieles war unterdrückt, die ganze Lebendigkeit war gebunden. Mein innerer Leidensdruck war groß. Es ging aber weiter, hin zum Leben. Dank achtsamer und mitfühlender Begleitung. Einzel- und Gruppenarbeit stand an; sie ging über 4 Jahre.

Nach Jahren der Entwicklung kommen nun tiefste Schichten ins Bewusstsein. Nun in der dritten Woche das Trainings zu den 9 Tugenden ist mir klar: Powersprüche wie „Du musst nur an Dich Selbst glauben“, die funktionieren nicht wirklich. Zu behaupten, mir geht es gut, obwohl es mir schlecht geht, erzeugt doch nur noch mehr inneren Druck. Nein, es geht ganz klar darum, einen Raum jenseits der Dualität zu erfahren. Das erfordert wieder Mut. Der Einladung zu folgen, wie es meine Lehrerin sagte: Darf ich wirklich glücklich sein? Da waren so viele Verbote mich zu fühlen. Doch nun bin ich mit der Frage konfrontiert, ob ich mich die Erlaubnis gebe, mich zu lieben; so wie ich bin? Nein, es geht nicht um narzisstische Selbstliebe. Kann ich mir selbst zu vergeben? Ein ganz wichtiges Element der Selbsterfahrung.

Mehr als eine Ahnung beschleicht mich, ohne dass ich mich bei meinen Erfahrungen in irgendwelchen verstandesmäßigen Logiken verheddere: Mein ursprüngliches Selbst ist ohne Begrenzungen, ohne Schmerz und ohne Druck. Das führt noch weiter: Zur Liebe. Liebe in ganz anderem Sinne als „Bauer sucht Nackedei". Es geht um die Essenz meines Seins, das mich zu meiner Quelle zurückführen kann. Die Essenz, meine Seele. Wie im Pslam 103 geschrieben: Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Mein Herz wird mir weit, wenn ich diese Worte ausspreche und bete und versuche zu erfassen, was mit Seele gemeint ist. Seele: Das, was Gott an Lebendigem in mich gepflanzt hat, sein Atem in mir, sein göttlicher Funke. Die Seele, das ist das, was ich wirklich bin, was mich ausmacht. Sie ist weit mehr als mein Spiegelbild und als der gebrechliche Körper, den ich irgendwann einmal wieder ablege. Die Seele beschränkt sich nicht auf Gene und Gedanken, sie ist die Kraft, die mich lebendig sein lässt. Und sie weckt eine Sehnsucht in mir nach etwas, das weit über mich hinausgeht. Weil sie weiß, wo ich herkomme und wo ich hingehe. Sie kennt nicht nur das Ich, das ich bin, sondern auch mein göttliches Gegenüber.

Ja, ich nenne die Quelle meines Lebens Gott. „Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“, so die Bibel. Im stillen Sitzen in der Meditation taucht wie aus dem Nichts auf einer tiefen Ebene ein Impuls auf: Die Liebe Gottes ist wie die Liebe von Eltern zu ihren Kindern und immer da. Doch von diesem Raum in mir, da haben ich mich sehr früh in meiner Individuation weit entfernt. Schutzschichten, geboren aus Missverständnissen über diese Welt verdecken den Zugang zurück; zurück zur Heimat.

Ich muss mehrfach tief durchatmen; alles wirken lassen: Gott ist die Liebe und ich bin ein Teil Gottes – so kann ich in meinem tiefsten Sein nur Liebe sein. Ja, wieder Einssein, mit meinem Urgrund verbunden. Noch kann ich es nicht ganz fassen, diese tief ist diese Wahrheit. Ich gebe mir Zeit, nichts zu erzwingen. Ein Warnhinweis an dieser Stelle, für das Ego: Wir sind nicht Gott, bei weitem nicht.

Rückblickend auf meine Entwicklung fällt mir auf, in welch grandiosem Irrtum ich, wie die meisten Menschen, gefangen war: Ich fühlte mich in der Angst sicher, das kenne ich eben. Mächtige Selbstverbote hinderten mich, reine Lebensfreude zu leben! Mir wird dabei klar, dass der Mutige, der Fehler macht, immer für seinen Mut belohnt wird, so meine Erfahrung in vielen kleinen Dingen.

Mut ist mehr als Fügsamkeit und Anpassung, er wird nicht auf den Schlachtfeldern dieser Welt gelebt. Auf unserem Weg ist Mut so wichtig: Wir müssen das Leben wagen anstatt es zu vermeiden. Wie und was will ich leben? Auf diesem Weg müssen wir Mut entwickeln und uns erlauben, Neues zu denken und zu fühlen. Die alte Sicherheit und Bequemlichkeit gibt es dann nicht mehr. Die eigenen Impulse wichtiger nehmen, als die Meinung des Mainstreams. Ich muss bereit sein, im Ringen um meine eigene Selbstbestimmung auch einen schmerzhaften Verlust von Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen aufzugeben. Auch wenn sie mir bisher scheinbar Halt gegeben hat. Es wird viele Angriffe und Versuchungen geben, damit ich den neuen – meinen Weg – aufgebe. Gerade hier brauche ich Mut, um allem was von anderen Menschen kommt, mit Liebe gegenüberzutreten. Es gibt keine Garantie, dass meine Entscheidung in irgendeiner Weise belohnt wird. Doch diesen Weg zu gehen, das fühlt sich freier an. Trotz der Unsicherheiten zu Beginn. Tiefe Freude durchpulst mich für einen Moment. Es ist mein Weg, für mich – nicht gegen andere Menschen.

Das alles war viel Stoff, die letzte Woche. Etliche Erfahrungen, meist noch nicht auszusprechen. Das ist in Ordnung. Nun steht die vierte Woche der Reisegruppe unter der Leitung unserer Lehrerin Dr. Katja Held an – die Tugend „Großzügigkeit“. Ich bin gespannt und berichte.

 

APPLIEDCOREVALUES®  all together for everyone“  Dr. Katja Held

Weitere Blogeinträge: https://indiestille.perfectsounds.de/index.php/blog

Rüdiger Schaller, 08.11.2020

Autor des Buches: "In die Stille"