Hingabe

Hingabe – bei dieser Tugend geht es nicht um mich. Es geht nicht um mein Ego, das sich zwar in narzisstischen Höhenflügen verlieren kann. Aber am Ende des Lebens, spätestens dann, erkennen muss, dass ich nichts wirklich in meinem Leben im Griff habe. Wir sind begrenzte Wesen. Begrenzt im Verstand. Wissen wird zwar angehäuft, doch das nicht sagbar, das Numinose, das können wir niemals mit dem Verstand erfassen.

Eingeengt ist unser Verstand auch durch eine Zentrierung auf das Ego – ich will erkennen. Es werden durch unsere Individuation innerlich Mauern aufgebaut, die uns abgrenzen von anderen Menschen. Oft machen diese Abgrenzungen uns sehr einsam im Leben. So bleiben wir oft in uns nicht bewussten Ängsten gefangen und laufen wir in einem Hamsterrad gefangen durch unsere Leben. Bis zum Zusammenbruch; im aufrechthalten der Schutzmauern gebundene Lebensenergie. Die sich im Grunde doch so sehr nach Hingabe sehnt.

Hingabe an etwas größeres als ich es bin. Keine Trennung mehr, kein Alleinsein mit meinen Ängsten. Vertrauensvolle Hingabe an das was mir jetzt, in diesem Moment, als Aufgabe im Leben zufällt. Dabei spüren, dass ich eingebunden bin in das unermesslich große Ganze. Ein kleiner, doch unendlich wertvoller Teil.

Eine Falle für das Ego, am Beispiel des „Vater unser Gebets“. Hingebungsvoll wird gebetet: „Dein Wille geschehe“ und dabei denken wir doch so oft an die Erfüllung unserer materiellen Wünsche. Doch ein Vater weiß zumindest in der Phase meiner Kindheit es oft besser, was gut für mich ist. Und im besten Fall bringt er es mir liebevoll bei. Um wieviel mehr ist hier Gott präsent, nicht fassbar für unseren Verstand. Er ist doch die Quelle unseres Seins. Von ihm kommen wir, zu ihm gehen wir.

Kann sein Wille schlecht für mich sein? Da gilt es Vertrauen zu fassen. Auf dem eigenen Weg immer wieder dahin meditieren, in alles was geschieht. Ein kleines Beispiel: Mehrfach wurde mir und meiner Familie die Wohnstatt gekündigt; gerade eingelebt und finanziell alles geregelt. Das fühlte sich jedesmal so an, als ob uns der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Doch nach der Verarbeitung des ersten Schrecks hatten wir immer eine qualitativ bessere Unterkunft gefunden. Keine Garantie, dass das dauerhaft so bleibt. Da bleibt nur das Vertrauen, dass auch der nächste Schritt gut für mich ist. Wie immer er aussieht.

Mich erleichtert dieser Erkenntnis, geboren aus Erfahrungen. Ich muss nichts, wirklich nichts im Griff haben. Im Guten wie im Schweren beten und meditieren. Hingabe üben, jeden Tag. Das öffnet die engen Grenzen meines Verstandes. Und ich habe schon mehr als einen ersten Geschmack von der inneren Weite. Kontakt zu einem Raum des Friedens. Dort kann ich kann meine inneren Waffen niederlegen. Aus diese Quelle strömt ein so tröstliches Einverstanden sein mit der Welt und dem Leben durch mein Wesen. Ich brauche mich da nicht erniedrigen oder irgendetwas oder irgendwem unterwerfen. Diese Art von Hingabe geschieht freiwillig, ich entscheide das. Es fühlt sich eher an wie einer Einladung, der ich folge. Zurück zum wahrhaften Leben zu finden.

Noch ein Warnhinweis an dieser Stelle, eine Warnung vor einer gedanklichen Falle: Hingabe ist das Gegenteil von Widerstand, Gleichgültigkeit und Passivität. Sie beteiligt sich am Leben, ganz, ohne Vorbehalte. Sie bringt sich ein. Das kann eine schlichte Tätigkeit sein, wie das Abwaschen oder Staubsaugen. Es können aber auch Werte, Eigenschaften oder Ziele sein, denen man sich im Leben voller Hingabe widmen will.

Eine Auswahl von bedeutsamen Werten, die viel mir zunächst schwer. Auf unsere Reise in dieser Woche sollten wir einen Tag genau einem Wert widmen. Ehrlichkeit, Liebe, Verbunden sein, Achtsamkeit und noch einige mehr standen zur Auswahl. Alles tolle und lohnende Werte. Beim Überlegen blitzt eine Erinnerung in mir auf: Vor geschätzt inzwischen über 20 Jahren, da nahm ich an einer Männergruppe teil. Im Schwarzwald. Ein Woche Beschäftigung mit eigenen Ängsten und „dem Mann sein“. Am Samstag der Höhepunkt, ein Feuerlauf. Für was geht ich durchs Feuer? Schon damals ganz spontan: Für die Liebe. Ja, für die Liebe gehe ich durchs Feuer! Ich rannte zweimal über die glühenden Kohlen, mit einem Schrei auf den Lippen: „Für die Liebe“. Nun, da war mit jetzt klar, die Liebe ist heute „dran“. Was für eine Weite und Frieden sich tagsüber immer mal wieder öffnete; Achtsam und Mitfühlend – ich bin heute noch sprachlos. Finde nur Worte der Annäherung.

Jesus Christus sagte „Nicht mein Wille geschehe, sondern Dein Wille geschehe“. In der größten Hingabe zu Gott, der Quelle alles Seins, da können wir mehr als nur erahnen, dass die Liebe selbst die Ausdrucksform von Gott ist. In der vollkommenden Hingabe, da ist in der Liebe eben keine Angst mehr. Jesus ist der Pol der Liebe. In diesem Pol das ist Frieden – die Angst ist der Gegenpol. Dazwischen gibt es etliche zum Teil schwer entwirrbare Schichten unsere Ego-Schutzmauern.

Mein Ziel: Mehr und mehr, noch bewusster als bisher, mit Hingabe leben. Ich erfahre darüber das Leben noch schöner und reicher. Dabei bin ich zunehmend einfach nur glücklich; ohne Grund. In der Hingabe, da schiele ich nicht auf Erfolge – wie viele Click´s habe ich für meinen Blogeintrag erhalten – oder auf die Zahlen meines Buchverkaufs; eines Buches, das Mut machen soll. Ich schreibe einfach so, aus tiefer Freude und Hingabe. Möchte meine Erfahrungen teilen. Inwiefern Menschen davon berührt werden, dass liegt nicht in meiner Hand. Das ist auch gut so. Es gibt bei dieser Art von Handeln keine Misserfolge, das befreit mich auch ein Stück weit vom selbstauferlegten Leistungsdruck.

 

„Entscheide dich stets für die Liebe!
Wenn Du Dich einmal dafür entschlossen hast, wirst du die ganze Welt hinter die lassen.
Die dienende Liebe ist eine unglaubliche Kraft.
Sie ist die allergrößte Kraft, und ihresgleichen gibt es nicht.“

(Fjodor M. Dostojewski)

 

Es war wieder eine tiefgehende, berührende Trainingswoche. Mit vielen Impulsen, die weitergetragen werden wollen. Unter der Führung meiner Lehrerin Dr. Katja Held.

APPLIEDCOREVALUES®  all together for everyone“  Dr. Katja Held

 

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Rüdiger Schaller, 29.11.2020

Autor des Buches: "In die Stille"