"Wir sind dagegen, doch machen wir mit“

Von rr - Hinter den Schlagzeilen

  am 21. November 2022 

 in FEATUREDPolitikSpiritualitätVermischtes

WM 2022 in Katar – Totensonntag und Advent. 

November – vielleicht der unbeliebteste aller Monate. Nicht nur, dass das Wetter trübe und der Frühling noch weit ist – auch „negative“ Feiertage drohen: Allerheiligen, Allerseelen, Buß- und Bettag, Totensonntag und das Gedenken an die Reichspogromnacht… Die durch Jahrhunderte alte Tradition und Naturstimmung erzeugte „Energie“ einer Jahreszeit ist nicht immer angenehm, aber sie hat ihren Sinn. Zu Hause bleiben, Sich nach innen wenden, nachdenken, seiner verstorbenen Verwandten gedenken und geduldig auf die ersten Anzeichen einer Aufhellung warten, die mit Weihnachten und der Wintersonnenwende kommen. Auch das Warten auf die Ankunft des Erlösers ist hierzulande bei vielen Menschen noch ein wichtiger Teil ihres inneren Lebens. Schon lange aber gehen die „besinnlichen“ Gemütsregungen jedoch in mindestens bis zum 23.12. dauernder Business-Hektik, in Vorweihnachtskommerz und Bespaßungsprogrammen unter. Und diesem Jahr kommt noch ein weiterer „ungemütlicher“ Faktor dazu: Die Fußball-WM in Katar. Deren Energie ist dem, was November-Besinnung und Advent eigentlich bedeuten sollten, völlig entgegengesetzt – von Menschenrechtsfragen, die in den Medien wenigstens ab und zu diskutiert werden, ganz abgesehen. Fußball-WM – das heißt oft: vor dem Fernseher Saufen und Brüllen, Nationalgefühl, Spaßkultur und die Weltherrschaft des Oberflächlichen. Es ist das Gegenteil dessen, was es jetzt auch angesichts der realen Probleme bräuchte. Viele spüren den Widerspruch, doch ist zu befürchten: Sobald „Deutschlandspiele“ locken,  werden nach kurzem Zögern doch alle wieder mitmachen. Roland Rottenfußer

Der Ungeist, der Gemeinschaften zerstört, geht um. Immer offener, ungenierter. Dabei zeigt er seine ganze Brutalität und Machtfülle in dieser Welt. Was für Intrigen, Bestechungen und Lügen um dort die WM auszurichten. Unangreifbar der Verband der das tut: Gott Mammon hat sein ungutes Wirken ausgebreitet. Von Jahr zu Jahr stärker und machvoller. Doppelmoral: Wir sind ja dagegen doch machen wir mit. Scheinheilig. 

Der Totensonntag, der Eröffnungstag der WM: Besser hätte der Ungeist den Termin nicht wählen können. Totengedenken? Auch Gedenken der Toten unter den Arbeitssklaven? Weit gefehlt: Eine große Schau wird eröffnet. Eine Plattform, auf der sich ein homophobes, frauenfeindliches und ausbeuterisches System präsentieren kann. Von angeblich der besten Seite. Und das dann in der Adventszeit. Die Zeit, auf der wir uns auf die Rückkehr des Herrschers der Welt besinnen sollten. Nicht auf den kommenden Weltmeister. Alles besinnliche und zärtliche und Hoffnungsvolle wird von dem schrillen Geschrei der Totengräber des Menschlichen übertönt, zertreten. Gesponsort und befeuert auch mit den Gebühren unsere Fernsehanstalten. 

Ein paar Gedanken zum Advent, zunächst ein Rückblick über 2000 Jahre: 

Die junge Kirche lebte in der Hoffnung auf die baldige Wiederkehr ihres Herrn. Sie war eine adventlich gestimmte Kirche - sie feierte noch keine Adventszeit, sie lebte im Advent. Daraus bezog sie ihre Kraft: Gottes Kommen ist nahe. Gott ist im Kommen, das heißt ja Advent – Gott ist im Kommen: Es ist nicht der Fußballgott gemeint, dessen hässliche Fratze des bedingungslosen Kommerzes hinter diesem von Menschen gemachten Spektakel aufscheint. 

Gott ist im Kommen. Das heißt es bis heute. Eine Kirche, eine Gemeinde, die diese Hoffnung aufgibt oder auch nur hintenanstellt, die ist nicht nur mit ihrer Geduld am Ende. Die ist in der Gefahr, sich selbst zu verlieren. 

Früher sollte der Advent an die Wiederkunft Christi am Ende der Welt erinnern. Er sollte die Menschen vorbereiten. Die Adventszeit war früher eine Fastenzeit, so wie die Passionszeit in den Wochen vor Ostern. In dieser Zeit hatten sich die Menschen ganz bewusst zurückgenommen. Gefastet, kein Fleisch gegessen, sich bereit gemacht für den Zeitpunkt, an dem Jesus wiederkommt und uns zu sich holt. Keine Plätzchen, kein Glühwein, keine Schokolade. All das gab es erst zu Weihnachten. Nicht vorher. Schließlich war es kurz vor 12 und diese letzten Wochen wollten die Menschen ganz bewusst erleben. Denn schließlich, welcher Termin konnte wohl besser sein zur Wiederkunft Christi, als sein Geburtstag? 

Die Bedeutung unserer Traditionen ist unter all der Sorge um die Geschenke meist verloren gegangen. Und alle Jahre wieder und doch nur ein weiterer Aspekt: Der Kommerz und die von ihm profitierenden Medien gehen nach dem goldenen Oktober direkt in die glänzende und funkelnde Adventszeit über. Die dunklen Zeiten im November kommen dort nicht vor. Doch gerade in der dunklen Zeit im November haben wir etliche Anlässe, den Gedanken an Sterben und den Tod, an die uns nahestehenden Verstorbenen und den Gedanken an unsere eigene Vergänglichkeit, Raum zu geben. Doch mehr und mehr werden wir mit anderen Bildern überschüttet, die uns und unser Erleben und Handeln in der Gesellschaft nachhaltiger beeinflussen, als uns dies bewusst und lieb ist. Hier befeuert das ganze Spektakel in Katar und die Macht der berichtenden Medien diesen Trend noch weiter. Der Ungeist treibt frohlockend sein Spiel. 

Das Kommen des Herrn ist nahe, so das große Versprechen. Doch wann kommt er denn nun? Wir sind nicht Gott, darum können wir den Zeitpunkt seines Kommens nicht ermessen. Entscheiden können wir aber, ob wir seinem Evangelium, der frohen Botschaft, vertrauen und bereit sind, geduldig zu warten. Dies ist heute allerdings aus der Mode gekommen. In unserer Gesellschaft zählt oft allein der schnelle Erfolg. Wir beurteilen unsere Situationen oft nur vom gewünschten Ergebnis her. Wir sind kaum bereit auf ein Ziel hin zuzuwarten. Wir fordern sofortigen Lohn für unsere Anstrengungen. Stellt sich der Erfolg aber nicht rasch genug ein, wird das Projekt aufgegeben, etwas Neues angefangen. Dies ist schon bei Kindern zu beobachten, die Mühe haben sich auf eine Sache zu konzentrieren, um komplizierte Dinge zu lernen. Oft spricht man dann von einer geringen Frustrationstoleranz. 

Geduld im Warten einüben, das ist ein Aspekt der Adventszeit. Doch eine Bitte um Geduld ist nicht vollständig, wenn wir dabei nicht an die Geduld dessen denken, der da auf uns zukommt. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn Gott die Geduld mit uns verlieren würde, wenn ihm der Geduldsfaden risse. Aber da ist es, - Gott sei Dank -, mit Gott wie mit Eltern, die gegen allen Augenschein, geduldig mit dem langen Atem der Leidenschaft an einem Kind festhalten, das sich verrannt hat; sie geben es nicht auf, auch wenn alle Welt sagt, das ist doch ein hoffnungsloser Fall. Es ist die Liebe, die diesen langen Atem der Leidenschaft überhaupt erst möglich macht. Und erst Gottes Liebe lässt uns in seine Geduld einstimmen. 

Liebe verträgt keine Ungeduld. Ungeduldige Liebe verzehrt nicht nur sich selbst, sondern auch das geliebte Du, denn sie gewährt ihm keinen Raum und keine Zeit. 

Die Zeit des Advents ist die Zeit, die Gottes liebevolle Geduld uns gewährt; er gewährt uns die Zeit und er macht den Raum unseres Lebens weit. Er lädt uns ein in seinen Advent. Er bittet uns in seine Zeit, in seinen Raum der Liebe einzutreten, ins Licht des anbrechenden Tages. Und da, schon ganz in seiner Nähe, da können wir geduldig auf ihn warten und selber den Mut haben, anderen Menschen geduldig Raum und Zeit zu schenken – gerade im Advent. Da könnte dann, während wir ebenso geduldig wie leidenschaftlich auf sein Erscheinen warten, uns so mancher Reichtum im Zusammenleben überraschend zuwachsen, von dem die Ungeduld unserer Herzen keine blasse Ahnung hat. 

Das ist auch einer der Räume, der in zunehmenden Maße vom Ungeist bedroht wird. Gier und die weiteren Todsünden feiern in unserer Gesellschaft fröhliche Urstände. Deshalb gilt es, weiter an den Schutzräumen zu bauen, in denen Leben gelingen kann.

 

Intro: Roland Rottenfußer - Chefredakteur bei "Hinter den Schlagzeilen" https://hinter-den-schlagzeilen.de/

Rüdiger Schaller, 19.11.2022 

Autor des Buches „In die Stille“         Neu: Jetzt auch als eBook

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