Die kurze Hoffnung 

 

Prolog

Nur ein Beispiel für so Vieles in dem Weltgeschehen: Die kurze Hoffnung Afrikas:

Der Kongo erlangte 1960 die Unabhängigkeit. Der erste Ministerpräsident wurde mit einer Rede zum politischen Star – und zur Gefahr für die Länder des Westens. Sieben Monate später war er tot. Ein Teil der Vorgeschichte: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wünschte sich, dass der Präsident vom Kongo in einen “Fluss voller Krokodile fallen würde”.  (Quelle: Die Zeit No. 2 – Dossier – Sternstunden der Menschheit.) 

Ein klarer Mordauftrag von Dwight D. Eisenhower, der auch so beauftragt wurde.  Nur zur Erinnerung: Eisenhower war ein Präsident des freien und freiheitlichen Westens. Mit einem so hohen Stellenwert der Menschenrechte, mit Berufung auf die Bibel. Moralisch allen Systemen in der Welt überlegen.  

Etwas über 60 Jahre später; auch nur ein Beispiel: Oligarchen sterben auf mysteriöse Weise, eine kritische Journalistin wird exakt am Geburtstag des "Herrschers" ermordet.

Auch ein Blick in die Jahrhunderte zurück: Immer wieder die gleichen Muster, nur in anderer Kulisse. Noch weiter zurück, etwas über 2.000 Jahre zurück, da gibt es aber etwas zu entdecken, das Mut, Kraft und Lebensfreude spendet. Eine unversiegliche Quelle, die die Zeiten überdauert. Sie gibt Orientierung, Halt und Ausrichtung auf etwas, das größer ist als wir Menschen.

Das Lied des Lebens

Was sagt das Buch der Bücher, die große so oft missverstandene und missbrauchte Weisheitslehre? Was sagt konkret die Bibel zu diesen Themen? Wie finden wir in dem zunehmend verwirrenden Weltgeschehen Klarheit? Wem oder was folgen wir? Folgen wir in diesem Wirrwarr Gott oder dem großen Einflüsterer? Und: Wann praktizieren wir Gottes große Freiheit, zu der wir berufen sind, die wir leben sollen. Wann, wenn nicht heute? Wir haben doch nichts zu verlieren, oder? Was bedeutet das alles für unseren Lebensweg? Ein zunächst scheinbar einfacher Drei-Satz kann uns bei der Suche unterstützen; geboren aus der Zeit zwischen Weihnachten und der Passionszeit: 

  1. Klarheit ist geboten, Klarheit statt Ruhm und Herrlichkeit.
  2. Zweitens: Klarheit braucht Klärung
  3. Gott das Gewicht zu geben, bringt Klarheit

In dieser Zeit zwischen Weihnachten und der Passionszeit gilt es im Kirchenjahr Abschied zu nehmen von dem vertraut und doch fremden Kind Jesus, das uns in den zurückliegenden Wochen so intensiv begleitet hat. Jesus ist erwachsen geworden, und der neue Lebensabschnitt in seiner Biografie wird markiert durch einen neuen Ort. Nicht länger der Geburtsort Bethlehem oder Nazareth als Stadt seiner Kindheit und Jugend, sondern Kapernaum wird wichtig für das Leben dieses erwachsenen Mannes.

Matthäus (s.u.) verrät uns den dramatischen Grund für diesen Umzug: Johannes, jener unerschrockene Mann mit seinen Bußpredigten, dieser beeindruckende Lehrer, der Jesus im Jordan getauft hatte, sitzt im Gefängnis, im Warteraum des Todes. Johannes, den man auch den Täufer nannte, wurde gefangen genommen, weil er störte. Er hatte Herodes Antipas, dem Regenten jener Tage ins Gewissen geredet. Dessen Gottlosigkeit angeprangert. Der Bußprediger in der Wüste war Herodes Antipas zu gefährlich geworden. War doch seine Macht bedroht. Also musste Johannes weg.  Das Tablett wird schon vorbereitet, auf dem der Kopf des Johannes dem Herodes und seiner Gattin überreicht werden soll. Blutiger Sadismus zum Vergnügen einer Tischgesellschaft, lange vor dem Zeitalter der Gewaltvideos. Gewaltlosigkeit kann einen hohen und blutigen Preis haben. 

Doch die Hiobsbotschaft vom Schicksal des Johannes lässt Jesus, der gerade 40 lange Tage und Nächte in der Wüste verbracht hatte, an seinem Weg nicht irre werden. Im Gegenteil. Jesus widersteht der Versuchung, nach Jerusalem zu gehen, ins Zentrum der Macht. Stattdessen Umzug nach Kapernaum, an das Nordufer des Sees Genezareth. Weg von der Metropole, wo die Fäden der Macht gesponnen werden, hin zur Peripherie, mitten hinein in die Provinz, wo sie am langweiligsten und normalsten ist. Weg von Jerusalem, der Hauptstadt der Verheißungen, hin ins heilsgeschichtliche Niemandsland. 

Matthäus 4, 12 – 17: 

„Als nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1):  »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.« 

Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ 

Drei Aspekte können uns auf unserem Lebensweg weiterführen: 

Erstens:  Klarheit ist geboten, Klarheit statt Ruhm und Herrlichkeit. 

Das ist nicht leicht, wenn es um den eigenen Kopf geht. Johannes bekommt es zu spüren. Doch dies lässt Jesus an seinem Weg nicht irre werden. In Kapernaum fängt er an, auch öffentlich zu sprechen, nicht mehr nur in den Synagogen. Es sollte Licht ins Dunkel jener dubiosen Machenschaften gebracht werden. Jesus tat es in dem festen Vertrauen, dass Gott helfen kann, Gutes aus Bösem entstehen zu lassen. 

Seine erste Predigt ist eine der kürzesten: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“. Diese Predigt entbehrt jeglicher Originalität, denn das Copyright liegt beim Täufer.  Wortwörtlich wiederholt Jesus die Predigt des Johannes (Mt. 3, 2): Sie kann auch so übersetzt werden: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ 

Verblüffendes spielt sich ab: Soll der eine durch Inhaftierung unsichtbar gemacht werden, dann tritt der andere in die Öffentlichkeit. Im Handeln Jesu erweist sich die Strategie der Gewaltlosigkeit dem Zynismus der Macht als überlegen. Mit seiner Predigt stimmt er das Lied des Lebens erneut an. Beinahe scheint es, als habe Jesus mit diesen Worten „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ auch sich selbst gepredigt. Denn mit diesen geliehenen Worten tritt Jesus aus der Anonymität, aus dem Schutz der Masse in das Rampenlicht der großen Öffentlichkeit. 

Jesus spricht von Gott in klarer, konkreter und präziser Weise. Findet Worte, die Not tun. Gegen die Politik und Machtzersetzung jener Zeit. Gegen die religiöse Verwahrlosung des Volkes; gegen die heillose Suche der Menschen in alle Richtungen. Damals wie heute, über 2.000 Jahre später. 

Jesus redet dabei fehlerfreundlich, wenn es um die täglichen Nachlässigkeiten Einzelner geht.

Er weiß: Die Kehrseite der Freiheit Gottes heißt auch, Irrtümer zu begehen. Wer frei ist, tut nicht immer das Richtige. 

Aber er redet fehlerfeindlich, wenn es um Fehler im System geht. Denn er weiß, dass der Zwang ins System Selbstgerechtigkeit nährt. Es ist diese Art von Selbstgerechtigkeit, die sich wie die Pharisäer an die eigene Brust schlägt und sagt: Die anderen sind schuld. Die eigenen Irrtümer werden dabei vergessen. Solch ein Systemzwang ist hochgefährlich. Das würgt die Barmherzigkeit für den Einzelnen ab. Indem Jesus öffentlich anfängt zu predigen, zeigt er, dass der eigene Glaube an Gott immer auch eine politische, eine gesellschaftskritische, eine sozialkritische Dimension hat. 

Das bedeutet Gottes Weisungen geben dem menschlichen Leben seine eigentümliche Tiefe, seine Dringlichkeit, aber auch seine Schärfe. Wenn man begreift, dass sie die kleinen und großen Konflikte dieser Welt aufschließen und Licht ins Dunkel der menschlichen Kehrseiten bringen können. 

Zweitens: Klarheit braucht Klärung. Um offen und deutlich von der Freiheit Gottes reden zu können, tut die eigene, die innere Klärung Not. Um öffentlich über den Geist der Freiheit reden zu können, braucht es auch den Rückzug zu sich selbst. Die Einsicht über sich und das eigene Leben. Die Einsicht in das eigene Leben in Bezug auf die anderen. 

Jesus war vierzig lange Tage und vierzig lange Nächte in der Wüste, in denen er der Stimme des Verführers ausgesetzt war. Es waren Einflüsterungen der einfühlsamen und hochintelligenten Sorte. Verführungen, denen jemand mit gesundem Menschenverstand kaum widerstehen kann. Was war Jesus nicht alles angeboten worden: Materielles Auskommen, nicht nur für ihn selbst, sondern „Brot für die Welt“, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit, Erfolg und Macht. 

Liest man diese teuflische Versuchungsgeschichte, dann beschleicht einen das unangenehme Gefühl, als habe der Teufel lediglich unsere innigsten Wünsche eingesammelt und dann in seine verführerischen Förmchen gegossen. Mein SUV, mein….. was auch immer noch.

Natürlich sind wir verführbar, wenn es so an den Kern unserer Existenz geht, wenn es um Einkommen und Auskommen, um Einfluss und Gesundheit für uns selbst oder für unsere Liebsten geht.

Jesus hatte standgehalten - mit nichts anderem als drei Versen der Hebräischen Bibel im Herzen und auf den Lippen. Drei Bibelstellen gegen den zerstörerischen Sog der Korrumpierbarkeit. Jesus hatte - anders als wir selbst es in vielen Bereichen von Politik und Gesellschaft erleben, wie gerade aktuell  - nur ein Beispiel von vielen: Im Europaparlament - seine Seele nicht verkauft. Seine Käuflichkeit war nicht lediglich eine Frage des Preises. Immerhin war das Höchstgebot des Teufels an Jesus nicht weniger als alles gewesen. 

Dennoch hatte Jesus widerstanden allein mit dem Wort, „das aus dem Mund Gottes geht. Drei Worte der Heiligen Schrift, um den Willen Gottes und die eigenen, manchmal auch verzweifelten existenziellen Wünsche, auseinander zu halten. „Er aber antwortete: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes geht.“ 

Um innere Klärung zu finden, musst du ganz allein mit dir sein. Das heißt: Nichts schön reden. Sich nicht vor sich selbst verstecken. Licht ins Dunkel der eigenen Egozentrik zu lassen, das tut weh. Ernüchterung macht sich dabei breit: Ich habe nicht alles im Griff. Nicht alles ist machbar oder kann selbst bestimmt geregelt werden. 

Willst du den Geist von Gottes Freiheit spüren, bleiben dir die Zeiten dieser nüchternen, selbstkritischen Einsichten nicht erspart. 

Zwischen den beiden Sätzen „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ und „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ sind alle Trennschärfen zwischen Dunkel und Licht vorhanden, die ein Menschendasein erleben kann. 

Selbsterfahrung und Gotteserfahrung gehören ganz dicht zusammen. 

Daraus folgt drittens: Gott das Gewicht zu geben, bringt Klarheit

Wo sich innere Grenzen weiten, ist Gott da. Eine andere Kraft wirkt mit, Gottes Kraft. Gottes Geist. Die eigene Angst unterliegt dann. Vertrauen kann wachsen. Ich fühle mich angenommen. Und dieses Gefühl stärkt die innere Freiheit. 

Nun bleibt natürlich die Frage zum Schluss: Können wir Christen und Christinnen von heute uns vergleichen mit den Absichten jener Zeiten der großen Anfänge? Was haben wir geerbt? Was haben wir verraten? Ist der Geist von Gottes Freiheit in unseren Kirchen noch immer lebendig? Oder ist er kastriert zu reiner Verwaltung und Bürgerlichkeit. Dient er gar zur Stabilisierung der herrschenden Machtverhältnisse? 

Vieles liegt im Argen in unserer Gesellschaft und in der Welt: Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer – trotz oder wegen der Steuervermeidungsparadiese und der willfährigen Politiker, die dies fördern. Korruption im EU-Parlament, gekaufte Fußballweltmeisterschaften und noch so viele mehr, wie die Oligarchen und deren "Investitionen". Nur ein paar wenige Beispiele wie von vielen anderen, wie zum Beispiel die "Maskendeals" in der Pandemie. Ohne Konsequenzen.

Und der Traum vom Frieden ist seit Jesus Wirken hunderttausend Mal getötet worden. Auch heute ist die Welt wie damals voller Ungerechtigkeiten, Kämpfe, Brutalität und Grausamkeit. Dies alles wird nur durch Menschen gemacht – doch Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!

Was bringt uns Christen und Christinnen dazu, von der Freiheit Gottes wieder so zu reden, dass die Radikalität und der Glaubensernst jenes Jesus von Nazareth spürbar wird in der evangelischen Kirche? Und auch jenseits der Kirchenmauern. Wer traut sich, gegen den Neid und die Häme kleinbürgerlicher Moral aufzustehen? 

Wer traut es sich, Unrecht auch Unrecht zu nennen? Wir brauchen heute dringend wie eh und je Menschen die mutig sind! Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik der Reichen und des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben. Gegen Ungerechtigkeit, Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen:

Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut, von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Was wir brauchen, ist mehr Fantasie für Gerechtigkeit und für Frieden. 

„Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.“ Die Prophezeiung von Jesaja wurde in der Ostergeschichte erfüllt. Die Frauen, die am Ostermorgen das Grab leer fanden, zeugen von dem Licht, das in der Mitte der Nacht aufgeht und den Verzweifelten gilt. 

Wer traut sich, sich umzudrehen und auf den ersten Morgenstreif am Horizont zu achten, wenn doch die Finsternis nach Meinung fast aller allmächtig ist und tatsächlich der Tod fast allgegenwärtig zu sein scheint? 

Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Wann fangen wir endlich wieder an, Hoffnungsbilder für das Leben zu malen, die Nahrung bieten für die Herzen und den Verstand, wenn nicht jetzt? Wann praktizieren wir Gottes große Freiheit, zu der wir berufen sind, wenn nicht heute? Wir haben doch nichts zu verlieren, oder? 

Auch das manchmal zittrige Licht unserer menschlichen Hilfsbereitschaft und Hingabe ist Licht von dem großen Osterlicht.

Epilog

Zwischen allen den Dramen der heutigen Zeit, zwischen den Dramen geboren aus den ökologischen Schäden unseres Handelns, das wir aufblenden und zwischen den Flüchtlingsdramen – da müssen wir immer wieder versuchen, eine frohe Botschaft zu entdecken. Zwischen alle den empörenden Geschehen aus Gier und Dummheit und Mord.

Selbst der atheistische Philosoph Friedrich Nietzsche, der mit seinem Ruf „Gott ist tot!“ spektakulär für Aufsehen gesorgt hatte, weiß um die Tragik dessen, was er da sagt.

Nein, ein Leben ohne Gott macht die Welt eben nicht zum Himmel auf Erden. Sondern der Stärkere siegt über den Schwächeren. Und wenn der Stärkere irgendwann zum Schwächeren wird, kommt auch er unter die Räder. Eine Welt ohne Gott ist eine tragische Welt, weil ihr die Grundlage von Werten und Normen verloren geht und weil sie auf ein wesentliches Problem keine Antwort hat: nämlich auf das des Todes.

Vielleicht schaffen wir es ja, an einer neuen Welt mit zu bauen. Eine neue Welt, erschaffen durch Menschen, die daran glauben, dass Menschlichkeit und Gewaltlosigkeit möglich sind und entsprechen handeln. Solche Menschen sind als verletzliche Boten der Menschlichkeit unverzichtbar, damit wir an der Welt nicht verzweifeln.

Dahindurch schimmert die wohlverstandene Osterbotschaft: Wir dürfen darauf vertrauen, dass schamloser Rechtsbruch so wenig wie unverschämte Bosheit das letzte Wort behalten. Das macht Mut, lasst uns handeln!

Das Lied des Lebens im Herzen bewegen. Tanzen. Tanzen zu zweit, in Gemeinschaft mit anderen Menschen. Feiern, das Leben feiern. Was für ein Traum. Schon mitten in dieser Welt, in den immer gefährdeten Schutzräumen, in denen Leben gelingt.

 

 

Rüdiger Schaller, 13.01.2023 

Autor des Buches „In die Stille“         Neu: Jetzt auch als eBook

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