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Kategorie: Blog
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Waldbaden

Eine Abenteuerreise in die Welt- und Selbstwahrnehmung  -  vor der durch Begriffe geprägten Wahrnehmung.

Was hat mich so tief berührt, vor nun schon zwei Tagen? Ich bin innerlich immer noch aufgewühlt. Es war und ist für mich immer noch ein Mysterium – das hat nichts mit Mystizismus zu tun. Mystizismus verschleiert Klares. Es geht bei einem Mysterium um eine Art der Welt- und Selbstwahrnehmung, die noch vor der durch Begriffe geprägten Wahrnehmung kommt.

Zunächst: Wald, was bedeutet das für mich? Eine Kraftquelle zum Auftanken; immer wieder erlebt bei meinen so vielen Läufen durch die tiefen Wälder.

Aufatmen in der guten, sauberen Luft, die ist in den Wäldern so viel klarer und heilsamer ist, als in der von Abgasen geprägten Luft der Städte. Auch stundenlanges Spazieren hellt die Stimmung merklich auf. Warum nur? Und warum hat mich das Waldbaden, das ich bislang noch nicht gekannt hatte, zu einer zutiefst spirituellen Erfahrung gebracht?

Zunächst ein paar Fakten. Wald ist so unendlich viel mehr als nur reines Material für Möbel oder Holz für das Grillen. Die verkürzte, rein materielle Sicht, die passt zu unserem funktionalen Denken als – scheinbar – aufgeklärter Mensch. Doch wir sind zunächst erstmal im Westen zumindest zu 80% rein auf die Wahrnehmung unserer Augen beschränkt, dazu sind wir zutiefst unbewusst geprägt. Diese Prägungen können wir kaum wahrnehmen – oder wollen das auch nicht. Dazu kommt, dass wir zu 80% durch unser Reptiliengehirn automatisch gesteuert werden. Vielleicht erklären sich darüber auch zum Teil die Grausamkeiten in den nicht enden wollenden Zeiten der Kriege. Und auch die Kämpfe in der Gesellschaft, die bis in die Familien hineinreichen.

Nun, mit den restlichen Prozenten unseres Bewusstseins haben wir in der Welt uns so unendlich tolle Theorien und Strategien über die Welt und deren Weiterentwicklung ausgedacht. Doch das meiste davon führt auf einen Weg, der uns weit weg von unseren Wurzeln, unserem Ursprung und den Quellen unserer uns zutiefst eigenen Weisheit führt. So gebiert die Moderne auch einen modernen Fundamentalismus. Etliche Menschen, die mit der Moderne nicht mehr zurechtkommen, legen sich einen strengen Gott oder eine strenge Führungsperson zu. Und sie wissen genau, was ihres Gottes, ihres Führers Wille ist. Das gibt Halt für Verunsicherte, da gibt es klare Lehren, fertige Lebensstiele und Erziehungskonzepte und noch manches mehr. Das fatale daran ist, dass sich die Strenge gegen die Anderen richtet. Das fasziniert und zieht Menschen magisch an. Das kann bis zur Zerstörung des Lebens gehen; manchmal tötet es.

Ich beobachte, dass sich vielerorts Verunsicherung und auch Zukunftsangst ausbreitet. Bei Menschen, die irgendwie dazwischenstehen. Zwischen dem Tanz um das goldene Kalb in der Wirtschaft, dem menschenverachtenden Rennen nach Effizienzen und Rendite sowie dem Fundamentalismus, der Leben zerstört. Und Angst bei Menschen, die in vielen anderen Lebenssituationen stehen, die ängstigen können.

Wo kommt nun in meinem Erleben der Wald ins Spiel? Ein erster Schritt: Wir Menschen atmen aus – der Wald nimmt dies auf und atmet Sauerstoff aus, der für uns Lebensnotwendig ist, den wir einatmen. Ein andauerndes Wechselspiel. Wir gehören in unserem Wesen mit dem Wald zusammen. Nur ein Bild dazu: Ein Bild unserer Lunge ist exakt das „auf den Kopf“ gestellt Röntgenbild unserer Lunge. Bis hin in die feinsten Verästelungen.

 

Ein wunderbares Zusammenspiel; für beide Parteien lebensnotwendig. Doch wir Menschen sind dabei, das alles zu zerstören; eben auch unserer Lebengrundlagen. Wir brauchen nur auf dem Amazonas und die Abholzung der grünen Lunge der Erde zu schauen. Es sind Menschen, die unserer Erde so viele Verletzungen zufügen. Warum? Es heißt doch im Schöpfungsbericht in der Bibel, dass wir die Erde uns Untertan machen sollen. So weit, so kurz; auch viele Esoteriker verkürzen ihre Kritik genau auf diese Stelle. Um Anzuklagen. Doch im nächsten Satz heißt es so wunderbar: „Um sie zu bebauen und zu bewahren“. Bebauen und bewahren – kein Raubbau ist zu betreiben! Doch wir Menschen setzen uns darüber hinweg und sind dabei, unsere Lebensgrundlagen zu vernichten. Doch wo bleiben wir dann, auf einem ausgebeuteten und zu Grunde gerichteten Planten?

Zurück zum Waldbaden: Einiges an Theorie wurde zu Beginne der Reise erklärt. Das die Bäume sich gegenseitig unterstützen. Sie nähren ihre Nachkommen und sind bei den alten Bäumen. Sie warnen sich vor Schädlingen. Dies alles und viel mehr in der Literatur. Z.B. bei Peter Wohlleben – „Das geheime Leben der Bäume: Die Entdeckung einer verborgenen Welt“. Das geheime Leben: Klar, wir können es auf den ersten Blick mit unseren bisher auf andere Wahrnehmungen geschulten Augen und anderen Sinne nicht erkennen. Kritik? Sie stößt sich nur daran, dass sie empfindet, dass es sich nicht ziemt, dass Bäume ihre Nachkommen nähren. Doch was machen Mütter mit ihren Kindern, wenn Sie sie stillen? Sie führen ihnen Nährstoffe zu, wie der Bäume auch.

Die Bäume haben auch starke Selbstheilungskräfte, wie zum Beispiel der Baum, der in frühen Jahren von einem Blitz getroffen wurde. Er heilte sich aus dem inneren und strebte wie alle nach oben, zum Licht. Wie alle zum "Gesehen werden" in all der eigenen Schönheit. Jeder Baum ein Individuum – wie auch jeder Mensch. Doch die Bäume wissen noch zutiefst, dass sie nur in der Gemeinschaft stark sind. Und so fördern sie sich jeweils zum bestmöglichen. Dieses Wissen, diese Erfahrung, geht in unserer menschlichen Gemeinschaft aktuell rapide verloren.

Zum Abschluss für heute, zu dem, was mich neben den Fakten zutiefst bewegt. Nachdem wir praktische Ratschläge zu Gefahren im Wald, zu Zecken und zum aktivieren des Glückhormons in uns – unabhängig von unserer Stimmungslage – erhalten hatten, da näherten wir uns dem Abschluss der Führung, nach der Aktivierung der anderen Sinnesorgane, einer Baummeditation. Nun ging Faktenwissen in Erfahrungswissen über, das dem Faktenwissen so sehr überlegen ist.

In der Stille, in der Achtsamkeit – ohne Anleitung durch Worte – da geschah es. Völlig unerwartet: Vor mir öffnete sich der Baum und gab den Blick in eine Kathedrale frei – sofort durchblitzte mich der Gedanke: Heilig, der Baum ist heilig. Zutiefst berührt hielt ich weiter inne. Ja, auch Bäume sind Lebewesen, alles in der Natur ist Leben, ist heilig. Daher auch ich, als Teil der Natur. Das gilt es erst mal zu verarbeiten. Achtsam werden im Handeln und auch im Innehalten. Mich der Führung, die es liebevoll mit mir meint, mehr und mehr anvertrauen. Mehr Erfahrungswissen aufsaugen und daraus leben.

Das ganze Erleben und die Gedanken dazu sind noch so frisch, ich lasse alles in mir wirken; wie auch heute die zweite kleine Meditation an der noch jungen Buche (gemessen am Alter von Bäumen), bevor ich heute 2,5 Stunden durch die Wälder gestreift bin. Nur wahrnehmen, was ist. Und Vertrauen. Auf das Gute, auf Heilung meiner Verletzungen in ihrer Zeit. Sie auch Abgeben an die Bäume, dass Schweres sich in Licht verwandelt. Mit Hilfe des uralten Wissens der Bäume und meiner Rückverbindung an das Leben. Was für eine Hoffnung und was für ein tiefes Glücksgefühl, dass mich immer noch durchpulst. Alles ist heilig, die ganze Welt ist heilig - das überwältigt mich. Teil eines großen heiligen Ganzen. Unfassbar, doch wahr.

Rüdiger Schaller 14.05.2023

Autor des Buches „In die Stille“         Neu: Jetzt auch als eBook 

Nachtrag:

  1. Spirituelle Erfahrung
    Erfahrungen wie oben beschrieben sind und bleiben immer ein Geschenk. Sie sich nicht willentlich, mit keiner Technik herbeizuführen.

  2. Forschung zu Waldbaden
    Japan ist hier Vorreiter. Schon seit 1982 wird die Praxis des Waldbadens offiziell als gesundheitsfördernd anerkannt. In den Folgejahren entstanden etliche wissenschaftliche Studien, welche die heilsame Wirkung des Waldbadens belegen.
    Ein kleiner Exkurs: https://www.ndr.de/ unter: #Gesundheit/Waldbaden

  3. Danksagung
    Ein herzlicher Dank an Frau Dominique Zapfe-Nolte für ihren bewegenden und aufschlussreichen Vortrag über das Waldbaden sowie ihre zutiefst einfühlsamen Anleitungen auch bei der Baummeditation. 

Rüdiger Schaller 15.05.2023

p.s.: Noch immer bin ich innerliche zutiefst bewegt, der Prozess läuft also noch weiter; auf tieferen Ebenen.